Diversity Diary: Die Reichen und die Armen…

01. Juli: Canada Day

 

In der Sprache der Irokesen bedeutet das Wort „Kanata“ so viel wie „Dorf“ oder Siedlung. Als um 1600 die ersten Europäer*innen kanadischen Boden betraten, lebten die etwa 600 Eingeborenenstämme, die sich heute als „First Nations“ bezeichnen bereits seit fast 12.000 Jahren in dem riesigen Land, das sich als zweitgrößter Staat der Erde von den Niagara Falls bis hin zur Arktis über sechs Zeitzonen erstreckt und 41% der Fläche Nordamerikas einnimmt. Bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 hatten Frankreich und Großbritannien Kanada untereinander aufgeteilt. Mit dem Ende des Krieges musste Frankreich seine Kolonie rund um die Gegend von Québec an die Briten abtreten. Noch heute sind jedoch Französisch und Englisch gleichberechtigte Amtssprachen in Kanada und noch heute ist Queen Elizabeth II. von England das nominelle Staatsoberhaupt Kanadas. Nach wie vor leben 85 % aller französischsprachigen Kanadier*innen in der Gegend um Québec. Vor allem in den 80er und 90er Jahren hatte eine starke Bewegung mehrfach die Unabhängigkeit Québecs gefordert; zwei Volksreferenden hierzu scheiterten knapp.

Heute ist Kanada eine parlamentarischer Bundesstaat, der sich föderal in zehn Provinzen und drei Territorien mit jeweils eigenen Gesetzgebungskompetenzen z.B. im Gemeinde- oder Schulwesen gliedert. Die politische Willensbildung auf Bundesebene erfolgt nach britischem Vorbild in einem Zweikammerparlament: Die 338 Mitglieder des „House of Common“ werden alle vier Jahre demokratisch gewählt. Die stärkste Partei stellt den oder die Premierminister*in – derzeit die Liberalen mit Justin Trudeau. Die GRÜNE Partei Kanadas hat seit 2008 sehr an Bedeutung gewonnen; sie ist derzeit mit drei Sitzen im Parlament vertreten. Der Senat hat 105 Angehörige, die vom Generalgouverneur auf Empfehlung des Premierministers ernannt werden. Senator*innen obliegen keiner Amtszeit; sie können ihr Amt bis zum 75. Lebensjahr ausüben. Der Generalgouverneur vertritt die britische Königin in ihrer Rolle als kanadisches Staatsoberhaupt, beispielsweise bei der offiziellen Feier des „Canada Day“ am 01. Juli auf dem Parliament Hill in der Hauptstadt Ottawa. Die Bevölkerung feiert ihren Nationalfeiertag traditionell unter freiem Himmel mit vielen Festen, Konzerten, Feuerwerk und Paraden. In diesem Jahr sind die Feierlichkeiten freilich nicht nur durch die Corona-Pandemie überschattet, sondern auch durch den einige Tage zurückliegenden Fund von 751 Gräbern bei einer ehemaligen „residental School“, einer Schule, in der indigene Kinder, die zuvor ihren Familien entrissen worden waren, bis in die 90er Jahre hinein zwangsassimiliert worden waren. 

Das Verhältnis der europäischen Siedler*innen zu den indigenen Bevölkerungsgruppen, die neben den rund 700.000 Angehörigen der „First Nations“ auch 50.000 Inuit sowie rund 400.000 Métis - Nachfahren von Mischehen - umfassen, war lange Zeit von Unterdrückung gekennzeichnet. Erst 1960 erhielten alle Kanadier*innen das uneingeschränkte Wahlrecht, erst in den 80er Jahren fanden die Rechte der indigenen Bevölkerung Eingang in die Verfassung. 1999 entstand das mehrheitlich von Indigenen bewohnte Territorium Nunavut. 2019 wurden die 50 indigenen Sprachen gesetzlich geschützt. 

Kanada ist ein klassisches Einwanderungsland – jede*r fünfte Kanadier*in ist im Ausland geboren. Die Immigrant*innen stammen überwiegend aus Europa und den USA, zunehmend auch aus Ostasien. In Vancouver liegt das größte chinesische Viertel Nordamerikas – mit viel Prunk wird hier jährlich das chinesische Neujahrsfest gefeiert. Die Stadt Kitchener in Südontario – die früher „Berlin“ hieß, rühmt sich hingegen, das größte Oktoberfest außerhalb Münchens auszurichten. 

Der kanadische Staat begrenzt die Einwanderung durch ein rigides Programm- und Punktesystem. So erhält eine unbegrenzte Arbeitserlaubnis nur, wer einen der gesuchten Berufe ausübt, Sprachkenntnisse oder ein Jobangebot vorweisen kann.  

Die kulturelle Vielfalt spiegelt sich auch in der kanadischen Küche wieder – die es als solche gar nicht gibt: Während in British Columbia nach wie vor der High Tea feste Tradition ist und die Ontarier*innen zwischen Yorkshirepudding und Trifle einerseits und deutschem Karottenkuchen andererseits wählen können, stehen in Québec die Wildpasteten à la Normandie auf dem Speiseplan und genießt man in der Prärie ukrainischen Bortscht und Piroggen. Eine Besonderheit gilt landesweit: Alkoholische Getränke können nur in eigens dafür eingerichteten Geschäften erworben werden. Viele Restaurants gestatten ihren Gästen, eigene Getränke mitzubringen. 

Kanada ist eines der am dünnsten besiedelten Länder der Erde. Die rund 38 Millionen Einwohner*innen konzentrieren sich auf einen etwa 350 km breiten Streifen nördlich der Grenze zur USA. Hier liegen die großen Städte: Toronto, mit rund 6 Millionen Einwohner*innen die größte Stadt Kanadas, die Handelsmetropole Montreal, Vancouver, Calgary und die Hauptstadt Ottawa. Die 30 größten Städte beherbergen mehr als die Hälfte der kanadischen Bevölkerung. 

Der Norden des Landes ist hingegen nahezu unbesiedelt. Kalt sind hier die Winter, kurz und heiß die Sommer. Hier findet sich die ausgedehnten Waldlandschaften und zahlreichen Seen, für die Kanada vor allem bei Tourist*innen so berühmt ist. 20 % der weltweit verbliebenen Wildnisgebiete liegen in Kanada; außerdem verfügt das Land über den größten Bestand freilebender Bisons weltweit. Die kanadische Regierung bemüht sich – auch auf Druck von Umweltorganisationen wie die in Vancouver gegründete Organisation Greenpeace - sehr, die Natur vor Raubbau und Erosion zu schützen: In Kanada gibt es 44 Nationalparks und über 1000 Provinzparks und Naturreservate. Die Bedeutung erneuerbarer Energien hat in den letzten Jahren zugenommen: Über die Hälfte der Gesamt-Strommenge stammt mittlerweile aus Wasserkraft! Erst kürzlich investierte die Regierung 960 Mio. Dollar in den weiteren Ausbau der Erneuerbaren. Beim Treffen der G7 warb Premierminister Trudeau für mehr Klimaschutz weltweit. Als eines der wohlhabendsten Länder der Erde steht Kanada jedoch im ständigen Konflikt mit wirtschaftlichen Interessen: Um beispielsweise an die Athabasca-Ölsande im Gebiet um Alberta zu gelangen, werden dort großflächig Waldgebiete gerodet.  Obwohl kanadische Großstädte -  im Vergleich zur USA – über gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr verfügen, stiegen die CO2-Emissionen zwischen 2016 und 2019 um 3,3 Prozent an (während beispielsweise Deutschland seine Emissionen im gleichen Zeitraum um 10 Prozent reduzieren konnte. Im aktuellen Klimaschutzindex, der das Klimaverhalten von 58 Staaten vergleicht, belegt Kanada den letzten Rang.

In Frankfurt sind 476 Kanadier*innen zu Hause. In diesem Jahr bieten sich in Frankfurt einige Gelegenheiten, das Land näher kennenzulernen: Denn nachdem die Buchmesse 2020 rein digital stattfand, wird Kanada bei der – hoffentlich wieder in Präsenz stattfindenden - Messe 2021 abermals Ehrengast sein. Immerhin kann Kanada mit einer Literatur-Nobelpreisträgerin aufwarten: 2013 erhielt Alice Munro die Auszeichnung für ihre Erzählungen. Dass die bildende Kunst dahinter nicht zurückstehen muss, zeigt die Schirn in ihrer aktuellen Ausstellung „Magnetic North“: Noch bis zum 29. August könnt ihr die Ikonen der kanadischen Malerei dort bewundern.

 

Zum Weiterlesen:

Emily Carr – Klee Wyck – Die, die lacht. Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2020. ISBN 978-3946990376. 21 literarische Skizzen über das Leben der Ureinwohner*innen

Michael Christie, Das Flüstern der Bäume. Penguin Verlag, 2020. ISBN 978-3328600794. Erzählt das Leben vierer Generationen in und mit der kanadischen Natur

Zum Weiterschauen:

Die kanadische Reise (2017): Ein junger Franzose reist nach Kanada, um seine familiären Wurzeln zu finden. Streambar bei Amazon Prime.

In Frankfurt:

Kanada als Ehrengast auf der Buchmesse vom 20. bis 24. Oktober 2021. Mehr Infos unter www.buchmesse.de

Ausstellung „Magnetic North“ noch bis zum 29. August in der Schirn

 

01. Juli: Unabhängigkeitstag  in Somalia

 

Auch Somalia, das am äußersten Ende Ostafrikas, am „Horn von Afrika“ liegt feiert am 01. Juli den Jahrestag seiner Unabhängigkeit. 1960 hatten sich die damaligen Kolonien Britisch-Somaliland und Italienisch-Somaliland zu „Somalia“ zusammengeschlossen. Anders als beispielsweise Kanada war es dem ostafrikanischen Land jedoch bis heute nicht vergönnt, zu innerer Stabilität zu finden. Nachdem das unter Siad Barre etablierte autoritäre Regime 1991 gestürzt werden konnte, herrschte jahrzehntelang Bürgerkrieg. Erst 2012 gelang es, eine gemeinsame Regierung zu wählen, eine Verfassung zu verabschieden und den Aufbau einer zentralen Verwaltung zu beginnen. Weiterhin sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Somalia jedoch zerrüttet. 

Infolge der fehlenden Küstenwache kommt es immer wieder zu Piraterie, illegalem Fischfang und auch zur Verklappung von Gift- und Atommüll an der somalischen Küste. 

Immer wieder werden Ausländer*innen Opfer von Mordanschlägen oder Entführungen – das auswärtige Amt hat daher für Somalia eine generelle Reisewarnung ausgesprochen. 

Zu den Folgen des Klimawandels, die auch in Somalia spürbar sind – Zunahme der Monsunwinde, der Hitze und der Trockenperioden, zunehmende Erosion und Ausbreitung der Wüste - gesellen sich „hausgemachte“ Umweltprobleme in Form von Überweidung und Raubbau der Wälder (Holz ist in Somalia die Hauptenergiequelle). 

Obwohl das Land über ungenutzte Rohstoffvorkommen verfügt, gehört Somalia zu den ärmsten Ländern weltweit: 70 Prozent der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und zum Gesundheitssystem; die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt lediglich 57, 5 Jahre. Zu den sozialen Problem infolge des Bürgerkriegs kamen mehrere Hungerkrisen. 

Ein staatliches Bildungssystem existiert in Somalia nicht: Lediglich 30 bis 40 Prozent aller Kinder besuchen eine Koranschule oder eine private Bildungseinrichtungen, die Hälfte aller fünf- bis 14-jährigen steht bereits im Arbeitsleben, viele werden auch als Kindersoldat*innen zwangsrekrutiert. Besonders Mädchen und Frauen sind benachteiligt: Während rund die Hälfte aller erwachsenen Männer lesen und schreiben können, trifft dies nur auf ein Viertel der Frauen zu. Die Einführung des Islam als Staatsreligion 2012 brachte für die Somalierinnen zwar Verbesserungen, zum Beispiel im Erbrecht und im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung – allerdings werden Frauen zunehmend dazu angehalten, sich zu verhüllen und aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. 

Die somalische Küche ist einfach – zum Frühstück gibt es Tee und Canjeero, ein pfannkuchenartiges Brot. Mittags steht oft Reis auf dem Speiseplan, der mit  Kreuzkümmel, Kardammon, Gewürznelken oder Salbei verfeinert wird. Das Abendessen wird traditionell erst am späten Abend eingenommen, denn das Cambuloo, ein Gericht aus gekochten Adzukibohnen mit Butter und Zucker, benötigt eine Zubereitungszeit von fünf Stunden. 

Fast die Hälfte der Somalier*innen sind in der Hauptstadt Mogadischu und in den anderen großen Städten zu Hause. Ein knappes Viertel lebt von der Landwirtschaft, ein weiteres Viertel zieht als Nomad*innen durch das Land. Fast eine Million Somalier*innen sind aus dem Land geflüchtet und leben in anderen afrikanischen Staaten, aber auch in Übersee oder Europa. In Frankfurt sind 508 Somalier*innen zu Hause. Auch in die umgekehrte Richtung findet Migration statt. Menschen aus Äthiopien oder dem Jemen flüchten nach Somalia. Erwünscht sind sie hier allerdings nicht. Rigide Gesetze verbieten Somalier*innen, geflüchteten Menschen Wohnraum anzubieten – die Geflüchteten müssen zumeist in einem der über 700 Lager hausen. 

Lange Zeit galt Somalia als eines der ethnisch homogensten Länder Afrikas: Die überwiegende Mehrheit der Somalier*innen gehört zum Volk der Somali. Die Somali begreifen sich jedoch nicht als Einheit, sondern definieren sich über die Zugehörigkeit zu einem von fünf Clans, die ihrerseits in Subclans zerfallen. Die Clanzugehörigkeit richtet sich nach der väterlichen Abstammungslinie und wirkt wie ein Ausweis. Wer zum eigenen Clan gehört, genießt Schutz der Person und des Eigentums – zwischen den Clans werden jedoch Auseinandersetzungen ausgetragen, die bis zur Blutfehde führen. 

Clanälteste bestimmen de facto auch die politische Richtung des Landes: Denn demokratische Wahlen gibt es in Somalia (noch) nicht: Die Clanältesten bestimmen rund 14.000 Delegierte (darunter 30 % Frauen und 20% Jugendliche), welche die Abgeordneten wählen. Häufig werden die Wahlleute dabei bestochen und/oder unter Druck gesetzt. Streitigkeiten zwischen den Clans sind auch der Grund, warum die Wahlen, die eigentlich im Februar diesen Jahres hätten stattfinden sollen, auf unbestimmte Zeit verschoben wurden. 

 

Zum Weiterlesen:

Marc Engelhardt, Bettina Rühl: Somalia – Warlords, Islamisten, Investoren. Brandes und Apsel Verlag Frankfurt, 2019, ISBN 978-3860998922. Die beiden Journalisten und Ostafrika-Experten liefern ein facettenreiches Bild des Landes. 

Zum Weiterschauen:

Pirates of Somalia (2017), erzählt von einem jungen Autor, der in die Lebensweise somalischer Piraten eintaucht. 

 



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