Der Krieg der Frauen

Es ist bezeichnend, dass (so gut wie) alle Kriege der Historie stets von männlichen Aggressoren begonnen wurden. Denn im kriegerischen Angriff potenziert sich der dem patriarchalen System, welches die Gesellschaften der Erde in weiten Teilen immer noch dominiert, innewohnende Machtanspruch. Vor allem für Frauen bedeutet Krieg nicht nur die unmittelbare Bedrohung des eigenen Lebens, der Familie und des bisherigen Lebensraumes durch die Kampfhandlungen selbst, sondern zugleich die Bedrohung ihrer elementaren Rechte als Frau durch die Verschiebung von Machtverhältnissen. 

 

Der Krieg verstärkt bestehende Ungerechtigkeiten

 

Der Bericht „Not A Private Matter“ von Amnesty International aus dem Jahr 2020 dokumentiert eindrucksvoll, wie sich das Leben der Frauen in der Region Donbass seit dem Beginn des Konfliktes mit Russland 2014 verändert hat. 

Traditionell sind Geschlechterstereotype und Rollenbilder in der Ukraine stark konservativ geprägt. Die Frauen heiraten meist bereits schon mit Anfang 20; sofern sie überhaupt beruflich tätig sind, arbeiten sie überwiegend in schlecht bezahlten Pflege- und Dienstleistungsberufen, die es ihnen meist unmöglich machen, ein finanziell eigenständiges Leben zu führen. Während der „Gender Pay Gap“, also die Differenz zwischen den Einkommen von Männern und Frauen bei uns derzeit 18 Prozent beträgt, liegt er in der Ukraine bei 39 Prozent! 

Durch die Krise wurden die strukturellen Ungleichheiten noch verstärkt: Infolge der wirtschaftlichen Probleme verloren auch viele Männer ihre Jobs. Über Nacht konnten sie so ihrer angestammten Rolle als Ernährer der Familie nicht mehr nachkommen. Für viele von ihnen bedeutete dies einen Verlust an Männlichkeit, den sie mit gesteigerter Aggression gegenüber ihren Frauen zu kompensieren suchten:  Verglichen mit 2015 sind die Fälle häuslicher Gewalt in der Region Donezk im Jahr 2018 um 76 Prozent gestiegen, in der Region Luhansk betrug der Anstieg gar 158 Prozent! Und die Dunkelziffer liegt dabei noch um ein Vielfaches höher: Schätzungen zufolge kommen in der Ukraine nur 12 Prozent aller Fälle häuslicher Gewalt überhaupt zur Anzeige (und damit in die Statistik). Befragt, wie sie als Betroffene von Gewalt reagieren würden, wusste nahezu jede zweite Frau keine Antwort. 

Dazu kommt, dass das ukrainische Recht die Aggressoren schützt. Denn bevor wegen häuslicher Gewalt ein Strafverfahren eingeleitet werden kann, müssen Gewalttäter zunächst zwei Mal verwaltungsrechtlich geahndet worden sein. Angehörige von Polizei und Militär genießen hierbei eine besondere Immunität und können gar nicht zur Verantwortung gezogen werden. Immer wieder wird dieser Umstand ausgenutzt – sogar sehr junge Mädchen werden auf der Straße von Soldaten sexuell belästigt.

 

Sexuelle Gewalt gegen Frauen als Instrument der Kriegsführung

 

Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist in Kriegszeiten nicht allein Ausdruck struktureller Diskriminierung. Sie dient auch als unmittelbares Instrument der strategischen Kriegsführung. Die Friedensforscherin Ulrike C. Wasmuth unterscheidet dabei drei Funktionen geschlechtsspezifischer Gewalt: Zum einen dient sie der Demoralisierung der Kriegsgegner. Denn indem sie die Frauen unterwerfen und vergewaltigen, berauben die Aggressoren ihre Gegner der ihnen bisher angestammten – weil typisch männlichen - Beschützerrolle. Zum anderen bedeutet der Akt der Vergewaltigung zugleich ein Eindringen, ein Aufbrechen, ein Zerstören und ein Kontrollieren hergebrachter Bindungen, Sicherheiten, Existenzen und kultureller Identitäten – mit den Frauen wird quasi die gesamte Gesellschaft vergewaltigt. Und nicht zuletzt stellen Frauen für die siegreichen Eroberer Beutestücke, reine Siegestrophäen, dar, die ähnlich in Besitz genommen werden wie der errungene Grund und Boden. 

Unterwerfen, kontrollieren, besitzen – für die Fortschreibung patriarchaler Strukturen bietet der Krieg den institutionellen Rahmen. Damit schließt sich der Kreis. 

 

Männer als Aggressoren, Frauen als Opfer? 

 

Es wäre nun, auch zu diesem Ergebnis kommt Ulrike C. Wasmuth, allerdings verfehlt, Frauen als bloße Opfer kriegstreibender Männer darzustellen. Denn immer waren es auch die Frauen, die ihre Männer und Söhne bestärkt haben, in den Krieg zu ziehen und zu kämpfen und die die patriotisch-nationalistischen Parolen der Kriegstreiber allzu kritiklos übernommen und propagiert haben. Patriarchale Strukturen, egal ob in Kriegs- oder (vermeintlichen) Friedenszeiten können nur fortbestehen, solange sie allgemein akzeptiert werden und niemand sie in Frage stellt. 

Sich – nicht nur am 08. März – aktiv und vehement dafür einzusetzen, dass alle Menschen aller Geschlechter das Recht auf ein selbstbestimmtes, gewaltfreies und gleichberechtigtes Leben haben, ist daher in der Ukraine, in Deutschland, in Europa und überall auf der Welt unabdingbar. 

 

Zum Weiterlesen:

Not A Private Matter“- Bericht von Amnesty International 2020

Ulrike C. Wasmuth, Der Krieg hat auch ein weibliches Gesicht, SoWi-Arbeitspapier Nr. 100

 

Auch in Russland setzen sich Feminist*innen für ein Ende der Kriegshandlungen Putins in der Ukraine ein und haben ein Manifest veröffentlicht, das ihr hier nachlesen könnt. 

 

Anlässlich des Internationalen Frauentages zeigt das Frauenreferat Frankfurt den Dokumentarfilm „WE ARE NOT SCARED ANYMORE. WE ARE ANGRY“. Der halbstündige Film lässt elf Frauen aus Afghanistan, Polen, Belarus, Österreich, der Türkei, dem Iran, Deutschland, Ägypten und Chile zu Wort kommen und zeigt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede im Erleben patriarchaler Strukturen in der Gesellschaft auf. Ab dem 08. März ist der Film auf der Webseite des Frauenreferates zu sehen. 

 



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