Diversity Diary: Schwarzbrot mit Schlagsahne

18. November: Ausrufung der Republik in Lettland

 

Schnelles Internet und alte Verfassung

 

Ein blutgetränktes Leintuch, dessen rote Streifen den Leib und die ausgestreckten Arme des sterbenden lettgallischen Fürsten symbolisieren – das ist die lettische Nationalflagge. Zum „Tag der Ausrufung der Republik“ muss sie von allen Häusern gehisst werden. Mit Gottesdiensten, Militärparaden, Straßenfesten, Konzerten und einer großen Lichtshow in der Hauptstadt Riga feiern die Lett*innen den Jahrestag der Gründung der Republik Lettland am 18. November 1918.

Zuvor war Lettland seit dem Mittelalter von Deutschen besetzt und ab 1795 Teil des russischen Kaiserreichs gewesen. Russland – oder vielmehr die Sowjetunion- okkupierten den baltischen Staat im Zweiten Weltkrieg erneut und proklamierten 1940 die Sozialistische Sowjetrepublik. Erst 1990/91 sollte Lettland wieder ein unabhängiger Staat werden. Mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit wurde die Verfassung von 1922 wieder in Kraft gesetzt. Die lettische Verfassung ist damit eine der ältesten noch geltenden Verfassungen Europas. 

Heute ist Lettland eine parlamentarische Demokratie mit eine/einer Präsident*in als Staatsoberhaupt, der auch das Recht zur Gesetzesinitiative hat. Die Saeima, das Parlament besteht aus einer Kammer mit 100 Abgeordneten, die alle vier Jahre gewählt werden. Die derzeit stärkste Partei ist die konservative prowestliche JKP. Es gibt auch eine GRÜNE Partei, die gemeinsam mit dem Bauernverband das Bündnis Zajo un Zumnieku savieniba (Bündnis der GRÜNEN und Bauern) bildet. Bei der letzten Wahl 2018 konnten sie zehn Parlamentssitze erringen und bildet gemeinsam mit den Sozialdemokraten die Opposition. 

2004 trat Lettland der Europäischen Union und der NATO bei. Seit dem 01. Januar 2014 ist der Euro gesetzliches Zahlungsmittel. 

Während die lettische Wirtschaft vor allem seit dem Beitritt zur EU kontinuierlich gewachsen war, wurde Lettland von den Folgen der Finanzkrise 2008 hart getroffen. Die Wirtschaftsleistung brach um mehr als 14 Prozent ein, die Arbeitslosenquote verdreifachte sich. Auch wenn sich die Wirtschaft seither erholt hat, gilt Lettland auch heute noch als das ärmste der baltischen Länder; viele Lettinnen und Letten leben unterhalb der Armutsgrenze. Um die Selbständigkeit zu fördern, verabschiedete Lettland als bislang einziges europäisches Land ein Gesetz, das kleinen Start-Ups erhebliche Steuererleichterungen gewährt. Stark investiert wurde in den Ausbau der Internetverbindungen: Lettland verfügt mittlerweile nach Japan über das zweitgrößte Glasfaser-Netz weltweit. Außerdem stehen landesweit  über 4.500 kostenlose WLAN-Hotspots zur Verfügung, davon allein 930 in der Hauptstadt Riga. 

 

Vorreiter*in in Sachen Klima- und Umweltschutz

 

Hügel, Wälder und Seen prägen die lettische Landschaft. Das Klima ist mäßig warm; im Winter sinken die Temperaturen häufig unter den Gefrierpunkt; im Sommer steigt das Thermometer im Schnitt nur auf etwa 17 Grad. Immerhin: Die Sonne scheint häufiger als bei uns in Deutschland. Lettland hat eine lange politische Tradition, die Natur und Umwelt zu schützen – erste Umweltschutzbestimmungen datieren aus dem 16. Jahrhundert. 706 Flächen sind heute Naturschutzgebiete, darunter vier Nationalparks. Der erste und heute kleinste Nationalpark entstand 1921. 

Lettland hat keine natürlichen Erdgas-, Kohle- und Erdölvorkommen. Auch aus diesem Grund setzte das Land früh auf regenerative Energien: 38 Prozent des Stroms werden aus Wasserkraft produziert. 

Der Klimawandel ist auch in Lettland deutlich spürbar: 2020 gilt als das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 2019 hat der baltische Staat einen Klimaschutzplan mit 89 Maßnahmen verabschiedet. Im aktuellen Klimaschutzindex, der die Klimaschutzbemühungen von insgesamt 61 Staaten misst, liegt Lettland auf Platz 13 (zum Vergleich: Deutschland befindet sich auf Rang 19, die EU auf Platz 16). 

 

Jede*r Zehnte ist Nichtbürger*in 

 

Lettland besteht aus den vier Regionen Kurland, Livland, Semgallen und Lettgallen und ist der mittlere der drei baltischen Staaten, gelegen an der Ostseeküste zwischen Estland, Litauen, Belarus und Russland. Mit nur rund 1,9 Millionen Einwohner*innen auf rund 64.500 Quadratkilometern – etwa so groß wie Bayern -  ist der Staat eher dünn besiedelt. Nahezu jede*r Zweite lebt in der Hauptstadt Riga oder einer der anderen großen Städte. 

Die Bevölkerung ist multiethisch, neben Lett*innen leben auch Russ*innen, Belarus, Ukrainer*innen, Pol*innen und Litauer*innen in Lettland. Viele von ihnen sind während der Sowjet-Jahre zwischen 1944 und 1990 eingewandert. Über dreißig Jahre nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit kommt es noch häufig zu Problemen zwischen der lettischen Bevölkerung und vor allem der russischen Minderheit. Das hängt auch damit zusammen, dass sich lange Zeit viele Russ*innen geweigert haben, die lettische Sprache zu lernen, die seit 1990 alleinige Amtssprache ist. Trotz des EU-Beitritts ist den Minderheiten der Erwerb der lettischen Staatsangehörigkeit verwehrt. Nur, wer vor 1940 bereits Lette gewesen ist oder wer Nachfahre ehemaliger Staatsbürger*innen ist, hat ein Anrecht auf den lettischen Pass. Alle anderen erhalten seit 1995 einen rechtlichen Status als „Nichtbürger*innen“, sofern sie die Einbürgerungsprüfung, bestehend aus einem Sprachtest und einem Test in Geschichte und Verfassungskunde, bestehen. Nichtbürger*innen dürfen nicht wählen und können nicht Beamte werden – ansonsten sind sie den Staatsbürger*innen rechtlich gleichgestellt, auch was ihre Rechte als EU-Bürger*innen angeht. Jede*r Zehnte in Lettland Lebende ist Nichtbürger*in. 

 

Schwarzbrot mit Schlagsahne – Alltag und Kultur in Lettland

 

Die lettische Kultur ist weniger von Russland als von den nordeuropäischen Staaten – Schweden, Finnland und Deutschland - beeinflusst. So weisen die Altstädte viele typische Elemente der Hansestädte auf. In Volksmusik und Folklore spiegeln sich altlettische Traditionen wieder – zum Beispiel die Dainas, meist vierzeilige reimlose Lieder, die Alltagssituationen oder religiöse Mythen beschreiben. Sie spielen eine große Rolle beim Mittsommerfest am 23. und 24. Juni, das mit vielen Bräuchen gefeiert wird. Beide Tage sind in Lettland arbeitsfrei. Menschen schmücken sich und ihre Häuser und Tiere an diesem Tag mit Kränzen aus Blumen, Laub und Gräsern. Traditionell werden Kümmelkäse und Bier verzehrt. Von Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang brennen die Johannisfeuer. Die Kränze und die gesungenen Dainas sollen für Fruchtbarkeit eine reiche Ernte sorgen. Ob der Weihnachtsbaum tatsächlich 1510 in Riga erfunden wurde (oder im elsässischen Straßburg), ist unter Historiker*innen umstritten. 

Wie auch in Osteuropa haben die Namenstage für die Lettinnen und Letten eine größere Bedeutung als der Geburtstag. 

Baltische, belarussische, skandinavische und deutsche Einflüsse prägen die lettische Küche. Es dominieren deftige Gerichte mit Kartoffel, Schweinefleisch, Fisch, Weizen, Roggen, Erbsen, Kohl und Zwiebeln. Als Nationalgericht gilt Rupjmaize, ein Brot aus Roggenmehl. Es wird auch zu einer Süßspeise und einer Suppe verarbeitet. Gerne wird es mit Hanfbutter verzehrt. Besonders beliebt sind Pilzgerichte; das Sammeln der Waldgewächse ist fast so etwas wie das nationale Hobby. Für Tourist*innen oft überraschend sind die Kombinationen der Zutaten, so findet sich auf lettischen Speisekarten beispielsweise Milchsuppe mit Fisch, Roggenbrotsuppe mit Trockenfrüchten oder Schwarzbrot mit Schlagsahne. 

Lettische Spezialitäten könnt ihr in Frankfurt im Baltique Deli in der Innenstadt probieren. 

Die lettische Kultur könnt bei Veranstaltungen der Lettischen Gesellschaft erleben. Der Verein bietet einen regelmäßigen Stammtisch, eine Volkstanzgruppe und zwei Chöre. Außerhalb der Corona-Pandemie wird auch der Nationalfeiertag gemeinsam gefeiert. 528 Frankfurter*innen besitzen einen lettischen Pass. 

 

Zum Weiterlesen:

Edvarts Virza, Straumeni. Guggolz Verlag Berlin 2020, ISBN 978-3945370254. Erzählt vom Leben auf einem lettischen Bauernhof im 19. Jahrhundert.

 

Zum Weiterschauen:

Lettland – Reise durch zwei Welten. Doku über das Leben der russischen Minderheit in Lettland. Abrufbar in der ARD Mediathek

 

In Frankfurt:

Lettische Gesellschaft in Frankfurt: www.frankfurteslatviesi.lv

Baltique Deli, Heiligkreuzgasse 31, Frankfurt-Innenstadt

 



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