Diversity Diary: Wie hältst du´s mit der Religion?

31. August: Unabhängigkeitstag in Kirgisistan

 

Aus vierzig Stämmen zur islamischen Demokratie

 

Auch Kirgisistan (oder „Kirgistan“, veraltet auch „Kirgisien“) gehörte einst zur Sowjetunion. Seit dem 31. August 1991 ist das zwischen Kasachstan, China, Tadschikistan und Usbekistan gelegene Land ein unabhängiger Staat. 

Der Name „Kirgisistan“ leitet sich von kirkkyz, auf deutsch „vierzig Mädchen“ ab, da die Kirgisen davon ausgehen, von vierzig Stämmen abzustammen. Ein Blick in die Geschichte Kirgisistans zeigt, wie viele Völker das rund 200.000 Quadratkilometer große Land im Laufe der Jahrhunderte geprägt haben: 1219 eroberten die Mongolen unter Dschingis Khan das heutige Kirgisien. Über fast sechs Jahrhunderte gehörte der Staat zum Mongolischen Reich. Im 18. Jahrhundert wurde Kirgisistan von China unterworfen, im 19. Jahrhundert vom Russischen Kaiserreich erobert. 

Ein Vielvölkerstaat ist das zentralasiatische Land bis heute geblieben: Neben Kirgisen (rund 65 Prozent) leben Usbeken (14 Prozent), Russen (12,5 Prozent) und einige kleine Minderheiten in Kirgistan. Auch wenn die Zahl der deutschen Aussiedler*innen stark rückläufig ist, existieren in Kirgisistan noch einige deutsche Gemeinden. Offiziell gibt es zwei Amtssprachen: Kirgisisch und Russisch. Die kirgisische Sprache ist wie Usbekisch und Kasachisch eine Turksprache. Auch sie wird im kyrillischen Alphabet geschrieben. 

Die Bevölkerung ist jung, das Durchschnittsalter beträgt lediglich 26 Jahre. Überwiegend bekennen sich die Kirgisier*innen  zum sunnitischen Islam. Bis heute wird ihr Glaube jedoch – ähnlich wie im Iran – durch zoroastrische und schamanische Traditionen beeinflusst. Die Mischung verschiedener Riten wurde durch die antireligiöse Sowjetpolitik begünstigt; vor allem im Norden Kirgisistans, wo auch viele russische Christen leben, wirkt der Islam kaum in die Öffentlichkeit. 

 

Nur wenige Stunden fließt das Wasser

 

Generell ist der Norden des Landes eher prorussisch, weniger religiös orientiert und wirtschaftlich stärker als der eher konservative und landwirtschaftlich geprägte Süden. Nach Tadschikistan ist Kirgisistan der zweitärmste Staat der ehemaligen Sowjetunion. Die Infrastruktur ist in vielen Punkten unzureichend. Einen öffentlichen Schienenverkehr gibt es nur in Ansätzen. Auch die Wasserversorgung ist kaum ausgebaut; viele Gemeinden haben nur wenige Stunden am Tag fließendes Wasser.

Nur 20 Prozent der Staatsfläche sind landwirtschaftlich nutzbar, dennoch erwirtschaftet die Landwirtschaft 35 Prozent der kirgisischen Wirtschaftsleistung. Im Süden Kirgisistans werden neben Weizen, Kartoffeln, Zuckerrüben und Gemüse auch Tabak und Baumwolle angebaut.

Viele Kirgisier*innen sind nach dem Zerfall der Sowjetunion ins Ausland ausgewandert. In Frankfurt sind heute 144 Menschen aus Kirgisistan zu Hause.  

 

Zurück zum starken Präsidenten: Das politische System Kirgisistans

 

Nach dem Ende der Sowjetunion war Kirgisistan immer wieder von Unruhen geprägt: 2005 wurde der erste kirgisische Präsident Akajew in der „Tulpenrevolution“ gestürzt, auch 2010 kam es zu gewalttätigen Demonstrationen gegen die mit immer mehr Macht ausgestatteten Präsidenten. In der Folge wurde die Verfassung Kirgisistans geändert und Strukturen einer parlamentarischen Republik geschaffen. Im April 2021 wurde das präsidentielle System allerdings wieder eingeführt, nachdem es im Süden des Landes zu Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken gekommen war. 

Der aktuelle Präsident Sooronbai Dscheenbekow ist zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef. Er wird in direkter Wahl gewählt, benötigt allerdings eine absolute Mehrheit und darf sich höchstens einmal zur Wiederwahl stellen. Der Präsident gibt nicht nur  die politischen Leitlinien vor, sondern kann auch eigene Dekrete erlassen und das Parlament zu Sondersitzungen einberufen. 

Kirgisistan hat ein Einkammerparlament  („Dschogorku Kengesch“) mit 120 Abgeordneten, die auf fünf Jahre gewählt werden. Für Parteien gilt eine Fünfprozenthürde, außerdem muss jede Partei in allen sieben Gebieten, der Hauptstadt Bischkek und in Osch mindestens 0,5 Prozent erzielen. Wahlberechtigt sind kirgisische Staatsbürger*innen mit 18 Jahren; wer gewählt werden will, muss allerdings mindestens 25 Jahre alt sein. Direktkandidat*innen wie bei uns in Deutschland gibt es nicht. Die Parteienlandschaft Kirgisistans ist zersplittert; insgesamt gibt es mehr als 80 politische Parteien. Aktuell knapp stärkste Partei ist die sozialistische Birimdik („Einheitspartei“), allerdings erreichte die liberale Mekenim Kirgistan („Mein Vaterland“) aus dem Stand fast ein ebenso hohes Ergebnis. Die „Grüne Partei“ Kirgisistans ist derzeit nicht im Parlament vertreten. 

 

Der Klimawandel lässt die Gletscher schmelzen

 

Kirgisistan ist ein Bergstaat – über 90 Prozent des Staatsgebietes liegen höher als 1500 Meter über dem Meeresspiegel. Die Sommer sind kurz und heiß, die Winter lang und kalt. Während das Thermometer im Sommer auf  45 Grad klettern kann, sind Temperaturen von 18 Grad unter dem Gefrierpunkt keine Seltenheit. 

Obwohl Kirgisistan zu den waldärmsten Gebieten Asien zählt, befindet sich hier der größte Walnusswald der Welt. Aufgrund der vielen Gletscher und Schneefeder in den Bergen ist Kirgisistan sehr wasserreich. Der Klimawandel zeigt sich jedoch auch hier: Expert*innen schätzen, dass sich die Durchschnittstemperatur Kirgisistans bei einem weltweiten Anstieg von zwei Grad um sechs Grad erhöhen wird. Ähnlich wie in der Schweiz werden auch in Kirgisistan die Gletscher schmelzen und wird die Gefahr von Erdrutschen und Überflutung der Täler zunehmen. Die ohnehin in einem erdbebenreichen Land lebenden Kirgisier*innen wären damit noch mehr gefährdet. 

Die in Kirgisistan beheimateten Schneeleoparden waren lange Zeit durch Wilderei akut gefährdet. In den letzten Jahren geht die kirgisische Regierung in Zusammenarbeit mit Umweltverbänden gezielt gegen Wilderer vor, so dass der Tierbestand wieder gestiegen ist. 

 

Jurte und Pferdezucht – Die nomadische Tradition prägt den Alltag

 

Für Tourist*innen ist Kirgisistan eher ein Geheimtipp – beliebt ist vor allem bei Urlauber*innen aus der ehemaligen Sowjetunion der See Yssykköl im Norden des Landes. Bekannt ist Kirgisistan auch unter Extremtourenfahrer*innen; die Berge und Gletscher laden zu Trekkingtouren ein. 

Auch wenn heute rund 35 Prozent der Kirgisier*innen in Städten leben, spielt die nomadische Tradition in Alltag und Kultur eine große Rolle. Die Nationalflagge stellt das Gestänge einer Jurte, des traditionellen Nomadenzeltes dar. Filz- und Lederbearbeitung erfreuen sich einer langen Tradition, auch die Zucht und der Umgang mit Pferden, die Falken- und Windhundjagd. Nationalsport ist Kok-boru, das dem Polo ähnlich ist, aber statt mit einem Ball mit einer toten Ziege gespielt wird. In den ländlichen Gebieten ist Oodarysh, eine Form des Ringens, beliebt. Die Tradition der zentralasiatischen Nomaden spiegelt sich auch in der kirgisischen Küche wieder. Milch und Fleisch kommen fast täglich auf den Tisch, zu jeder Feier wird ein Tier geschlachtet. Als Delikatesse gilt vor allem Pferdefleisch. Zu Nooruz, dem kirgisischen Neujahrsfest wird aus Pferdefleisch eine spezielle Wurst,  Tschutschuk. Als besondere Ehrerweisung gilt es, Gästen Schafs- oder Hammelköpfe zu servieren. Aus Stutenmilch werden Joghurt, Käse und die salzigen Kurut-Bällchen hergestellt. Auch Brot und Mehlspeisen sind wichtige Bestandteile auf dem Speiseplan. Das Nationalgericht ist Beschbarmak (zu deutsch „Fünf Finger“), ein Gericht aus Nudeln und Fleisch, das  - wie viele Gerichte in Kirgisistan - traditionell mit der Hand verzehrt wird. Das kirgisische Nationalgetränk ist Schoro, ein Saft aus Getreide, der so beliebt ist, weil er Hunger und Durst gleichzeitig stillt. 

 

Zum Weiterlesen:

Daniela Emminger, Kafka mit Flügeln. Czernin Verlag Wien, 2018. ISBN 978-37076062787, erzählt von einem jungen Mann, der sich auf Spurensuche nach seinen kirgisischen Wurzeln begibt.

 

Zum Weiterschauen:

Centaur (2017). Der mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete Spielfilm erzählt die Geschichte des Filmvorführers Centaur, der mit seiner gehörlosen Frau und seinem kleinen Sohn in einem kirgisischen Bergdorf lebt und spürt, wie sich die Zeiten langsam ändern. Erhältlich auf DVD. 

 

31. August: Hari Kemerdekaan in Malaysia 

 

Von der britischen Kolonie zum aufstrebenden Industriestaat

 

Fast wie die amerikanische Flagge sieht die malayische aus – nur dass sie anstelle der 52 Sterne ein Halbmond und eine Sonne auf dunkelblauem Grund zieren. Dass Englisch heute noch offizielle Zweitsprache ist, verdanken die Malayen allerdings nicht den US-Amerikaner*innen, sondern der langen Zugehörigkeit ihres Landes zum britischen Empire. Am 31. August 1957 wurde Malaysia von Großbritannien unabhängig. Heute ist der Unabhängigkeitstag (auf malaysisch: Hari Kemerdekaan) offizieller Nationalfeiertag. Der heutige Staat Malaysia konstituierte sich 1963 aus vier ehemaligen britischen Kolonien, zu denen bis 1965 auch Singapur gehörte. Die 13 Bundesstaaten verteilen sich auf die malayische Halbinsel, die im Norden an Thailand grenzt und auf der sich auch die Hauptstadt Kuala Lumpur befindet und den Norden der Insel Borneo, die sich Malaysia mit dem Sultanat Brunei und Indonesien teilt. Die beiden Landesteile Ost- und Westmalaysia umfassen zusammen etwa 330.000 Quadratkilometer und sind durch das Südchinesische Meer getrennt.

Die rund 32 Millionen Einwohner*innen verteilen sich ungleichmäßig über das Land: Im weitaus größeren Ostteil (60 Prozent der Landesfläche) leben nur etwa fünf Millionen Menschen. 

Malaysia ist gebirgig, der höchste Berg ist der 4.085 Meter hohe Kinabalu. In Ostmalaysia liegt die Sarawak-Kammer, die größte Höhle der Welt. Das Klima Malaysias ist tropisch mit hoher Luftfeuchtigkeit. Ganzjährig liegen die Temperaturen zwischen 25 und 28 Grad. Von April bis Februar wird das Wetter durch die Monsune bestimmt – es kann in dieser Zeit zu ausgeprägten Niederschlägen kommen. Auch wenn in Teilen Malaysias der Regenwald wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fällt, bedeckt er immer noch mehr als der Hälfte der Landesfläche. Er bildet den Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere: Malaysia gehört zu den Ländern mit der größten Biodiversität der Erde. Die Hibiskusblüte ist die Nationalblume Malaysias. 

Reich an Bodenschätzen ist Malaysia, zudem erfolgte seit den 90er Jahren eine rasante industrielle Entwicklung. Heute gehört Malaysia daher zu den aufstrebenden Schwellenländern und zählt zu den ökonomisch und politisch stabilsten Staaten Südostasiens. Kennzeichnend für die malaysische Wirtschaft ist die relativ starke staatliche Regulierung – der Staatsfonds Khazahna Nasional investiert in zahlreiche Branchen. Eine hohe Bedeutung hat der Tourismus – Malaysia ist eines der meistbesuchten Länder der Welt. Neben den herrlichen Stränden zieht vor allem die Hauptstadt Kuala Lumpur zahlreiche Besucher*innen an. 

 

 

Der König wird gewählt

 

Malaysia ist ein Wahlmonarchie: Alle fünf Jahre wird der König (bzw. die Königin) aus der Reihe der Herrscher über die neun Sultanate gewählt. Er (bislang wurde das Amt stets durch Männer ausgeübt) trägt den Titel Yang-di-Pertuan Agong und ist Staatsoberhaupt des Landes, wobei sich diese Funktion in Malaysia weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkt. Derzeit hat Abdullah Shah das Amt inne. Neben Malaysia praktizieren nur die Vereinigten Arabischen Emirate eine ähnliche Form der Wahlmonarchie. 

Das malaysische Parlament gliedert sich nach britischem Vorbild in zwei Kammern Das Abgeordnetenhaus Dewan Rakyat hat 222 Sitze; die Abgeordneten werden für fünf Jahre gewählt. Die Länderversammlung Dewan Negara hat 70 Mitglieder. Frauen sind erst seit 1955 aktiv und passiv wahlberechtigt. Das seit der Unabhängigkeit führende Parteienbündnis Barisan Nasional - eine Koalition aus 13 Parteien, die teils regionale und ethnische Interessen sowie unterschiedliche politische Spektren vertreten – wurde bei der letzten Wahl 2018 vom Oppositionsbündnis Pakatan Harapan (deutsch „Allianz der Hoffnung“) abgelöst. Wichtiges Anliegen der neuen Regierung ist die Stärkung der Menschenrechte: In Malaysia wird nach wie vor die Todesstrafe praktiziert, die nicht nur bei Mord, sondern beispielsweise auch bei Schusswaffenbesitz und Drogenhandel verhängt wird. Aufgrund der Bestrebungen, die Todesstrafe abzuschaffen, werden die Exekutionen allerdings seit 2017 ausgesetzt. Strafbar ist grundsätzlich auch Homosexualität – staatliche Repressionen verhindern die gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensmodelle. Die malaysische Presse unterliegt durch das Lizenzwesen weitgehend staatlicher Zensur. 

 

Malaysia – Schmelztiegel vieler Kulturen

 

Malaysia ist ein Vielvölkerstaat: Knapp über die Hälfte der Bevölkerung sind Malaien, außerdem leben in Malaysia Chines*innen (etwa 25 Prozent), Inder*innen und – vor allem im Ostteil - einige indigene Völker. Die Rechte der malayischen Ureinwohner*innen (Malaien, Indigene) sind gesetzlich geschützt, beispielsweise werden sie bevorzugt in den öffentlichen Dienst eingestellt. Seit dem Ende der Kolonialzeit leben nur noch wenige Europäer*innen auf den malaysischen Inseln. Über 140 Sprachen werden in Malaysia gesprochen und alle Weltreligionen ausgeübt. Da die Verfassung alle ethnischen Malaien automatisch zu Muslimen macht und ein „Austritt“ nur unter sehr schweren Voraussetzungen möglich ist – unter anderem müssen Austrittswillige ein zweijähriges Umerziehungslager überstehen - , bekennt sich die überwiegende Zahl der Malaien zum (sunnitischen) Islam, während die übrigen indigen Völker oft zum Christentum übergetreten sind. Auch in Malaysia setzte in den letzten Jahren eine Islamisierungswelle ein. So ist es muslimischen Malai*innen verboten, Andersgläubige zu heiraten. Die gesellschaftlich führenden Malaien verhindern häufig den Bau christlicher Kirchen und die Veröffentlichung christlicher Schriften in der malaysischen Landessprache. 

Die malaysische Bevölkerung ist jung – ein Drittel sind jünger als 15 Jahre. Alle Kinder haben Anspruch auf kostenlosen mehrsprachigen Unterricht; nur für die Primarstufe besteht allerdings Schulpflicht. Rund 95 % der erwachsenen Bevölkerung kann lesen und schreiben. 

Die ethnische Vielfalt Malaysias spiegelt sich in der Kultur des Landes wieder. So gehört beispielsweise neben der traditionellen Kampfkunst Silat auch das britisch geprägte Badminton zu den beliebtesten Sportarten. Das ganze Jahr über werden Feste gefeiert, das chinesische Neujahrsfest genauso wie das muslimische Opferfest, die indigenen Erntefeste oder das christliche Weihnachtsfest. Daneben gibt es lokale Feiern wie das Fahnen- und Flaggenfest Chingay in Pengang oder das Drachenfest in Kelantan. Der Unabhängigkeitstag am 31. August wird insbesondere in Kuala Lumpur mit einem großen Feuerwerk um Mitternacht und vielen Paraden gefeiert. Musik und Tanz sind fester Bestandteil aller Feste. Eine Besonderheit sind die Orchester der Indigenen, die hauptsächlich aus Metallophonen, Gongs und Trommeln bestehen. Die Malaysier gelten als fröhlich und offen; Gastfreundschaft wird großgeschrieben. 

Auch die malaysische Küche zeichnet sich durch ihr Vielfältigkeit aus – chinesische Einflüsse mischen sich mit malayischen, indischen und anderen. Die Gerichte sind generell gut gewürzt, zu Reis oder Nudeln aus dem Wok werden in Soßen mariniertes Fleisch, Fisch oder Meeresfrüchte gereicht. Beliebt sind Nasi Lemak, Reis in Kondensmilch mit Sanbal, einer scharfen Chilisoße, Gruke, Erdnüssen und einem gekochten Ei. Überall in Malaysia kann man diese und andere Gerichte an Streetfood-Ständen kosten - aber auch in Frankfurt kommen Feinschmecker*innen auf ihre Kosten, beispielsweise im Selera Malaysian Restaurant im Bahnhofsviertel und auch im Nordend, im Pandan in der Eckenheimer Landstraße. 

 

Zum Weiterlesen:

Jeremy Tiang: Das Gewicht der Zeit. Residenz Verlag 2020, ISBN 978-3701717286. Erzählt die Geschichte einer Familie von den 50er Jahren bis in die Gegenwart

Lukas Straumann, Raubzug auf den Regenwald. Salis Verlag Zürich 2014. ISBN 978-3906195056. Dokumentiert die Abholzung des Regenwaldes durch malayische Konzerne und die Rolle westlicher Unternehmen an dieser Umweltzerstörung. 

 

Zum Weiterschauen:

Malaysia – Land der Kontraste (2015). Reisedoku.  Abrufbar auf Youtube

Malaysia – Von Frauen und Motorrädern (2018) – Reportage über den ersten Frauen-Motorradclub Südostasiens im islamischen Malaysia. Abrufbar auf Youtube.

 

In Frankfurt:

Selera, Münchener Str. 52, Frankfurt-Bahnhofsviertel

Pandan, Eckenheimer Landstr. 103, Frankfurt-Nordend

 

  1. September: Nationalfeiertag in Libyen 

 

Vom Osmanischen Reich zum Bürgerkriegsschauplatz

 

Neben dem „Tag der Revolution“ am 01. September und den islamischen Feiertagen wird in Libyen auch der 24. Dezember gefeiert, allerdings nicht als Weihnachtsfest, sondern als „Tag der Unabhängigkeit“: Am 24. Dezember 1951 wurde Libyen von Italien unabhängig. Die Italiener hatten das in Nordafrika zwischen Ägypten, Sudan, Niger, Tschad, Tunesien und Algerien gelegene Land im Ersten Weltkrieg erobert; zuvor hatte es fast 400 Jahre lang zum Osmanischen Reich gehört. Nach dem Ende der Kolonialzeit wurde Libyen zunächst zur  Monarchie. Am 01. September 1969, dem heutigen Nationalfeiertag, stürzten militärische Truppen unter Muammar al-Gaddafi den König. Für die nächsten 42 Jahre regierte Gaddafi die nun ausgerufene arabische Republik. Gegen das autoritäre Regime wuchs zunehmend Widerstand. Im Oktober 2011 wurde Gaddafi gefangengenommen und getötet. In den folgenden neun Jahren kämpften verschiedene Milizen um die Vorherrschaft; immer wieder flammten die Unruhen auf.  Erst im November 2020 konnte ein – fragiler - Waffenstillstand errreicht werden. Die Friedensverhandlungen sind bislang nicht abgeschlossen. Die UN hat für Dezember Wahlen angekündigt, ob es dazu kommt, ist noch unklar. 

 

Zerstörter Reichtum

 

85 Prozent Libyens sind Wüste; landwirtschaftlich nutzbar sind lediglich zwei Prozent der Staatsfläche. Angebaut werden vor allem Getreide, Gemüse, Mandeln, Oliven, Zitrusfrüchte und Datteln. Allerdings ist das Land reich an natürlichen Rohstoffe und verfügt über das größte Erdölvorkommen Afrikas. Aufgrund dessen war Libyen unter Gaddafi das reichste Land Afrikas. Bereits in den 70er Jahren wurden die Erdölfirmen verstaatlicht. Alle Einwohner*innen erhielten eine kostenlose neunjährige Schuldbildung, kostenlose medizinische Versorgung sowie Witwen-, Waisen- und Altersrenten. Grundnahrungsmittel, Benzin, Strom und Gas wurden  subventioniert und Arbeitnehmer an Unternehmensgewinnen beteiligt. Als Folge des Bürgerkriegs ist die Infrastruktur allerdings stark beeinträchtigt – viele Krankenhäuser und Schulen sind zerstört, es fehlt an Lebensmitteln und Trinkwasser. Über 900.000 Menschen sind nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Erdölförderung – die Basis der libyschen Wirtschaft- kam zeitweise völlig zum Erliegen. Staat und staatliche Unternehmen, zu denen seit den 70er Jahren auch die Erdölgesellschaften gehören, konnten keine Löhne mehr zahlen. Die Inflation lässt den Schwarzmarkthandel blühen.

Viele Menschen haben während des Bürgerkrieges versucht, aus Libyen über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen – zahlreiche von ihnen sind dabei in Seenot geraten und ertrunken. In Frankfurt leben 103 Menschen mit libyschem Pass.  Dramatisch ist auch die Situation für diejenigen, die aus südlicheren afrikanischen Ländern kommen und in Europa Schutz suchen wollen und Libyen als Transitland durchqueren. Oft müssen sie in libyschen Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren und werden dabei zum Spielball krimineller Netzwerke, die mit ihrem Schicksal Lösegeld erpressen wollen. 

Auch der Tourismus ist infolge der Unruhen eingebrochen – dabei verfügt Libyen über zahlreiche antike Kulturstätten, deren Besichtigung sich lohnt. Die Felsmalereien im Akkakusgebirge und die Ruinen der römischen Stadt Leptis Magna gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO. 

Libyen ist eines der wenigen Länder der Erde ohne Flüsse; nur nach Regenfällen führend die sogenannten „Wadis“ Wasser. Allerdings lagern in der Tiefe der Sahara große Süßwasservorkommen, die seit 1984 systematisch gefördert werden. 

 

Der Islam prägt den Alltag

 

Flächenmäßig ist Libyen der viertgrößte Staat Afrikas – allerdings ist er sehr dünn besiedelt: Auf einem Quadratkilometer leben statistisch gesehen lediglich vier Menschen. Sie verteilen sich allerdings ungleich: 90 Prozent leben im Küstengebiet. Hier sind die Temperaturen mit durchschnittlich 12 Grad im Januar und 26 Grad im August erträglich, wenngleich die Sandstürme im Frühjahr und Herbst heiße Tage mit sich bringen. Im Landesinnern hingegen herrscht Wüstenklima mit eiskalten Wintern und sommerlicher Hitze: Die libysche Wüste gilt mit bis zu 58 Grad als der heißeste Ort der Welt!

Ein Drittel der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre. Ethnisch gesehen sind die Libyer hauptsächlich Araber und Berber, von denen nur noch rund ein Viertel auf traditionelle Weise lebt. Nomaden sind nur noch fünf Prozent der Bevölkerung. Unter der Gaddafi-Herrschaft wurde das Hocharabische alleinige Amts- und Alltagssprache; das bis dahin noch gepflegte Italienisch und die Berbersprachen verschwanden von Straßenschildern, Firmenlogos und offiziellen Dokumenten. Sogar der Fremdsprachenunterricht in Schulen war in dieser Zeit verboten. 

Der Islam ist Staatsreligion in Libyen, 97 % der Bevölkerung sind sunnitische Muslime. Auch in Libyen ist in den letzten Jahren ein Trend zur Islamisierung erkennbar; so trifft man Frauen zunehmend verschleiert an. 2013 beschloss die Übergangsregierung die Einführung der Scharia; andere als islamisch-religiöse Versammlungen sind verboten; christliche Minderheiten werden marginalisiert.

Frauen genossen unter Gaddafi vergleichsweise viele Rechte – nach der Scheidung stand ihnen das gemeinsame Haus zu, sie haben seit 1964 das aktive und passive Wahlrecht, und auch sie erhielten eine hohe Bildung. Es gab Kindertagesstätten und sogar eine Militärakademie für Frauen, denn Frauen sind in Libyen wie die Männer zum Wehrdienst verpflichtet. Dennoch war nur rund jede zehnte Frau erwerbstätig – die meisten bevorzugten die „klassisch“ weiblichen Berufe und arbeiteten im Gesundheitswesen oder als Lehrerin. Anders als in Tunesien war Polygamie in Libyen (den Männern!) erlaubt, sofern die „Erstfrau“ einer zweiten Ehe zustimmte. 

Bei den Turag im Süden Libyens sind Frauen traditionell diejenigen, die bei Feiern musizieren. Typische Instrumente sind das Anzad, eine einsaitige Violine und Trommeln. Musik und Kunst unterlagen unter Gaddafi einer strengen Zensur, wer auftreten oder ein Album aufnehmen wollte, brauchte eine staatliche Genehmigung, „westlich“ anmutende Musik wurde verboten. 

Ein typisch libysches Mahl wird auf Platten angerichtet, von denen sich jede*r Gast von außen nach innen bedient. Die Speisen in der Mitte dürfen nicht angerührt werden; sie sind als göttliche Opfergabe bestimmt. Hauptzutaten der Mahlzeiten sind Grieß, Reis, Nudeln, Datteln, Gemüse und Fleisch (selbstverständlich essen Muslime kein Schweinefleisch!). Vor allem in der Hauptstadt Tripolis ist die Küche auch noch von der italienischen Kolonialzeit beeinflusst. Das Nationalgericht ist Bazin, ein Brot, das mit Tomatensoße, Kartoffeln, gekochten Eiern und Hammel- oder Lammfleisch serviert wird. Man isst es mit der rechten Hand von einem gemeinsamen großen Teller. Zum Essen gibt es keine Getränke, erst nach der Mahlzeit wird ein Krug mit Wasser oder Milch herumgereicht, aus dem jeder Gast trinken kann. Typischerweise wird die Mahlzeit mit einer Tasse Kaffee und einer Shisha beendet. 

 

Zum Weiterlesen:

Hisham Matar: Die Rückkehr. Auf der Suche nach meinem verlorenen Vater. Luchterhand Literaturverlag München 2017. ISBN: 978- 3630874227. Erzählt von der Spurensuche eines jungen Mannes im Land seiner Herkunft.

 

Zum Weiterschauen:

Libyen: Tiefe Risse, 10 Jahre nach der Revolte (2021). ARTE-Reportage, abrufbar auf Youtube.

 

 

01.September: Nationalfeiertag in Usbekistan 

 

Vom  Zentrum islamischer Philosophie zur liberalen Republik

 

Auch in Usbekistan ist der Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion, der 01. September, heute der Nationalfeiertag. Das zentralasiatische Land ist – fast als einziges Land der Welt – nur von anderen Binnenstaaten umgeben, nämlich von Kasachstan, von Kirgisistan, von Tadschikistan, Afghanistan und Turkmenistan. Wie die meisten seiner Nachbarstaaten ist auch Usbekistan seit dem achten Jahrhundert muslimisch geprägt. Anders als Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan hat Usbekistan keine nomadische Tradition, so dass sich ab dem Mittelalter eine hochentwickelte persisch geprägte urbane Kultur etablieren konnte, die Usbekistan zu einem Zentrum islamischer Philosophen, Wissenschaftler und Theologen machte. Im 19. Jahrhundert eroberten die Russen Teile des heutigen Usbekistans und gliederten sie nach dem Zerfall des russischen Kaiserreiches bis 1963 schrittweise in die UdSSR ein. Bis 1930 war Samarkand die Hauptstadt der usbekischen Sowjetrepubliken. 

Heute ist Usbekistan eine Republik, deren Staatsoberhaupt ein auf fünf Jahre gewählter Präsident bzw. Präsidentin ist. 

Gesetzgebend ist die Oliy Majlis, ein Parlament mit zwei Kammern, deren untere Kammer aus 250 auf fünf Jahre gewählten Abgeordneten besteht. Die obere Kammer umfasst 100 Senator*innen, die teilweise vom Präsidenten ernannt und teilweise von den Provinzräten entsandt werden. 

Ein Vierteljahrhundert lang hat Präsident Karimov Usbekistan autoritär regiert. Er allein hat die innenpolitischen Leitlinien bestimmt; öffentliche Proteste wurden gewaltsam unterdrückt, Oppositionelle verfolgt und inhaftiert und die Presse zensiert. 2005 kam es infolgedessen zu schweren Unruhen. Seit dem Tod Karimovs und der Amtsübernahme durch Shavkat Mirziyoyev im Jahr 2016 befindet sich Usbekistan auf einem Weg der politischen Liberalisierung. Deutschland pflegt zu Usbekistan enge wirtschaftliche und politische Beziehungen und ist einer der wichtigsten Abnehmer des usbekischen Erdgases. Während des Afghanistan-Einsatzes nutzte die Bundeswehr den Stützpunkt Ternis als Versorgungsbasis.

Während Usbekistan in der Sowjetzeit zu den ärmeren Republiken gehörte, ist es heute der drittgrößte Baumwollexporteur der Welt. Neben Erdgas werden Gold und Kupfer abgebaut. Rund um Margilan hat sich die Seidenherstellung etabliert. Zwischen 1993 und 2017 hat sich das Bruttoinlandsprodukt fast versechsfacht. 

Auch der Tourismus blüht in den letzten Jahren auf: Seit 2019 benötigen EU-Bürger*innen zur Einreise nach Usbekistan kein Visum mehr. Das an der historischen Seidenstraße gelegene Land wartet mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten auf – die Städte Taschkent, Samarkand, Buchera und Chiwa sind mit einem Schienennetz verbunden, auf dem Rundreisen in touristischen Sonderzügen angeboten werden. 

 

Überflutete Dämme und austrocknende Seen

 

Größtenteils ist Usbekistan von Wüste bedeckt, in der fruchtbaren Ebene im Osten des Lands liegen die Hauptstadt Taschkent und weitere große Städte wie Samarkand und Buchara an der historischen Seidenstraße, die einst China mit Europa verband. Hier leben die meisten der rund 33 Millionen Einwohner*innen. 

Trotz des hohen Anteils an Wüste und Steppe ist die Artenvielfalt in Usbekistan hoch. Knapp zwei Prozent der Landesfläche stehen unter Naturschutz. Die zur Bewässerung der Baumwollfelder abgeführten Wassermengen haben allerdings schwere Umweltschäden angerichtet. Der einstmals rund 66.000 Quadratkilometer große Aralsee misst heute nur noch ein Achtel dieser Fläche. Vielerorts sind die Böden erodiert, versalzen und zusätzlich durch Herbizide und Pestizide verunreinigt. Der Klimawandel verstärkt einerseits diese Phänomene einerseits und führt andernorts zu Unwetterereignissen mit Starkniederschlägen. Am 01. Mai 2020 brach der Damm des Sardoba-Wasserreservoirs im Osten Usbekistans nach einem heftigen Gewitter, überflutete Tausende Hektar Ackerland und machte 100.000 Menschen obdachlos.   

 

Kultur der Baumwolle

 

Usbekistan ist ein junges Land: Fast 40 Prozent der Einwohner*innen sind jünger als 18 Jahre, 65 Prozent sind unter 30. Sie genießen eine Schulbildung. Viele Kinder mussten jedoch auch auf den Baumwollfeldern arbeiten; erst 2008 wurde die Kinderarbeit auf Druck internationaler Konzerne gesetzlich verboten.

Die Einwohner*innen Usbekistans gehören über 100 Völkern an – neben den rund 70 Prozent Usbeken leben auch Russen, Tadschiken, Karakalpaken, Kasachen, Tataren, Koreaner und zahlreiche weitere Ethnien in Usbekistan. Es gibt auch eine deutsche Minderheit, die auf etwa 8000 Personen geschätzt wird. Amtssprache ist Usbekisch, das zu den Turksprachen gehört und mit dem Türkirschen verwandt ist. Als Verkehrssprache hat das Russische weiterhin große Bedeutung. In Usbekistan werden das kyrillische und das lateinische Alphabet nebeneinander verwendet, perspektiv soll letzteres die kyrillische Schrift irgendwann ablösen. Vor allem in den Städten wird die persische Kultur und Sprache heute noch gepflegt.

89 Prozent der Usbekier*innen bekennen sich zum sunnitischen Islam, nur acht Prozent sind (meist russisch-orthodoxe) Christen. Obwohl die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich gewährleistet ist, werden sie im Alltag oft marginalisiert. Wie in vielen zentralasiatischen Ländern ist auch der Islam in Usbekistan vom Zoroastrismus und dem Buddhismus beeinflusst. In den Städten praktizieren nur 40 Prozent der Muslime den Ramadan, auch wird vergleichsweise viel Alkohol, vor allem Wein, getrunken. Das traditionelle iranische Neujahrsfest Nouruz gehört auch in Usbekistan zu den wichtigsten Festen. 

Die Baumwolle ist in Usbekistan so omnipräsent, dass sie sogar auf dem Wappen verewigt ist. Es gibt Springbrunnen, die in Form einer Baumwollkapsel gestaltet sind, Gebäude sind mit stilisierten Baumwolldarstellungen verziert. 

Auch in der usbekischen Küche findet man die Baumwolle – in Form von Baumwollsamenöl.  Typische Gerichte sind Schurpa, eine auch in vielen Mahgreb-Staaten verbreitete Suppe mit Tomaten und Hammelfleisch, Laghman, gefüllte Nudeln, die entweder als Hauptgericht oder als Dessert genossen werden und die Süßspeise Halwa. Nationalgericht ist Plow, ein orientalisches Reisgericht, das hierzulande meist unter dem Namen „Pilaw“ bekannt ist. Die Usbek*innen kennen über 500 Zubereitungsarten für Plow. In Teehäusern wird grüner Tee ausgeschenkt, im Sommer ist außerdem Ayran, ein Getränk aus flüssigem Joghurt, beliebt. 

Die usbekischen Spezialitäten könnt ihr auch in Frankfurt probieren: In den Räumen der ehemaligen Gaststätte „Zur Sonnenuhr“ in Bornheim hat 2016 das „Caravan“ eröffnet, das nach eigener Auskunft das erste usbekische Restaurant in Deutschland ist. 258 Frankfurter*innen haben einen usbekischen Pass.

 

Zum Weiterlesen:

Abdulla Qodiriy: Die Liebenden von Taschkent. Dagyeli Verlag, Berlin 2020. ISBN 978-3935597531. Neuübersetzung des Klassikers, der eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der russischen Kolonialherrschaft erzählt. 

 

Zum Weiterschauen:

Usbekistan -  Auf der Seidenstraße unterwegs (2017). Abrufbar auf Youtube

Nur der Teufel lebt ohne Hoffnung – Politische Gefangene in Usbekistan (2020). Derzeit abrufbar in der ARTE-Mediathek.

 

In Frankfurt:

Restaurant Caravan, Wöllstädter Str. 11, Frankfurt-Bornheim

 

 

02.September: Nationalfeiertag in Vietnam

 

Vom Königreich zur sozialistischen Republik

 

Südlich von China und östlich von Laos und Kambodscha liegt Vietnam. Das ehemalige Königreich wurde im 19. Jahrhundert Teil des französischen Kolonialreiches. Im Zweiten Weltkrieg besetzten die Japaner das südostasiatische Land. Seine Unabhängigkeit erlangte Vietnam zwar am 02. September 1945 – dem heutigen Nationalfeiertag - zurück; kampflos wollte Frankreich seine ehemalige Kolonie jedoch nicht aufgeben. Bis 1954 dauerte der Krieg um die Vorherrschaft in Vietnam. In der Folge wurde das Land geteilt – in das sozialistische Nordvietnam mit der Hauptstadt Hanoi einerseits und in das von den Westmächten unterstützte Südvietnam mit der Hauptstadt Saigon. Im August 1964 beschossen nordvietnamesische Schnellboote im Golf von Tonkin zwei US-amerikanische Kriegsschiffe. Dies löste einen weiteren Krieg aus, der bis zur Niederlage der US-amerikanischen Truppen 1975 dauern sollte und – durch die Proteste vor allem US-amerikanischer Studierender – mitauslösend für einen weltweiten Kulturwandel wurde. 1976 wurden die beiden vietnamesischen Staaten wiedervereinigt. Das ruhige und elegante Hanoi wurde zur Hauptstadt der sozialistischen Republik Vietnam, die größte Stadt des Landes, Saigon, in Ho-Chi-Minh-Stadt umbenannt. Sie gilt heute als wirtschaftliches Zentrum Vietnams. 

Heute ist Vietnam eine sozialistische Republik. Gesetzgebend wirkt die Nationalversammlung, ein Einkammerparlament mit 493 Abgeordneten, die für fünf Jahre gewählt werden. In Vietnam ist verfassungsrechtlich nur eine einzige Partei zugelassen – die Kommunistische Partei Vietnams. Die eigentliche politische Macht liegt bei einem Kollegium, das aus dem Generalsekretär der KPV, dem Premierminister und dem Staatspräsidenten besteht. Dieses Kollegium steuert die Politik des Landes und beeinflusst über ihre Massenorganisationen, welche die Bevölkerung im Alltag überwachen und über die Zensur der Presse und des Internets auch das Wahlverhalten. Alle Kandidat*innen für ein politisches Amt werden von der Partei ausgewählt, wobei auch ein gewisser Anteil Nicht-Parteimitglieder zugelassen werden. Oppositionsparteien sind offiziell verboten, im Untergrund existieren sie jedoch weiter und versuchen, ihren Einfluss außerparlamentarisch, etwa durch Demonstrationen und kritische Schriften, auszuüben.

Regierungskritische Journalist*innen und Blogger*innen müssen allerdings mit Verfolgung und Verhaftung rechnen. Das Rechtssystem ist de facto nicht unabhängig, da alle Richter*innen und Anwält*innen ebenfalls von der Partei nominiert werden. In Vietnam gilt die Todesstrafe; sie wird unter anderem bei Korruption und Drogenhandel verhängt. 

 

Bambusstange mit zwei Reisschalen

 

Vietnam ist etwa so groß wie Deutschland und erstreckt sich über 1650 Kilometer von Nord nach Süd, während die schmalste Stelle von West nach Ost nur 50 Kilometer breit ist. Aufgrund dieser Form wird Vietnam auch als „Bambusstange mit zwei Reisschalen“ bezeichnet. Die „Reisschalen“ sind dabei die beiden fruchtbaren Flussdeltas im Norden und Süden, die Bambusstange beschreibt das dazwischenliegende karge, schmale von Wald und Gebirge geprägte Gebiet. Das Klima unterscheidet sich in Nord- und Südvietnam erheblich. Im Norden ist das Klima tropisch, mit einer kühleren Jahreszeit von November bis April und einer heißen von Mai bis Oktober. Im Süden herrscht ganzjährige Hitze mit einer Regenzeit von Mai von Oktober, die häufig mit Taifunen einhergeht. 

Während des Vietnamkrieges haben die US-Treppen Umweltgifte wie Agent Orange eingesetzt, die die vietnamesische Waldlandschaft nachhaltig geschädigt haben. Dazu kamen seit den 60er Jahren vor allem im Norden des Landes Brandrodungen und Abholzungen aus wirtschaftlichen Interessen (durch die Rodungen wurde Ackerland gewonnen und das Teakholz zu Möbeln für den europäischen, amerikanischen und asiatischen Markt verarbeitet).  Die fortschreitende Zerstörung der Wälder führt auch zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten. So leben in Vietnam nur noch rund 200 Tiger und weniger als 60 Asiatische Elefanten. Die Java-Nashörner sind bereits seit 2010 durch Wilderei ausgerottet worden. Um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, hat die Regierung mehrere Nationalparks eingerichtet und fördert gezielt den Ökotourismus. 

 

Von der Planwirtschaft zur sozialistischen Marktwirtschaft

 

Nach der Wiedervereinigung Vietnams wurde in ganz Vietnam die zentrale Planwirtschaft eingeführt: Bisherige Privatbetriebe wurden verstaatlicht und Produktionsziele zentral vorgegeben. Produktiv war dieses Verfahren – wie wir auch aus DDR-Zeiten wissen – nicht. Dazu kam das Handelsembargo, das die USA nach dem Vietnamkrieg gegen Vietnam verhängt hatte und das erst 1994 unter Präsident Clinton aufgehoben wurde. In der Folge brach die Infrastruktur ein, es fehlte an der Grundversorgung, die Bevölkerung verarmte zusehends. Viele Vietnames*innen flüchteten in dieser Zeit ins Ausland, oft mussten sie den Seeweg nutzen. Zahlreiche der „Boatpeople“ bezahlten den Fluchtversuch mit dem Leben. Unterstützt durch Reformen im Land, die den Umbau zur sozialistischen Marktwirtschaft vorantrieben, konnte die vietnamesische Wirtschaft seit den 90er Jahren wieder wachsen. Heute ist Vietnam der zweitgrößte Reis- und Kaffeeexporteuer der Welt. 

Auch der Tourismus hat in den letzten zwanzig Jahren stark zugenommen: Vor allem bei Backpacker*innen, Kreuzfahrtreisenden und Badeurlauber*innen ist Vietnam ein beliebtes Reiseziel. Vietnam ist das Land mit den meisten UNESCO-Welterbestätten Südostasiens; Ho-Chi-Minh-Stadt und Hanoi gehören zu den 100 meistbesuchten Städten weltweit. Seit 2020 ist Hanoi auch Austragungsort der Formel 1. 

Wer Vietnam besucht, sollte sich im Straßenverkehr in Acht nehmen: Denn Ampeln oder Verkehrszeichen gibt es allenfalls in den Städten, ansonsten wird gefahren, wo gerade Platz ist. Das bedeutendste Verkehrsmittel ist das Moped, in wohlhabenderen Familien auch zunehmend das Auto. Die Regierung versucht, dem entgegenzuwirken und den öffentlichen Nahverkehr auszubauen: So sollen Ho-Chi-Minh-Stadt und Hanoi demnächst ein U-Bahn-Netz erhalten. 

 

Vom Land in die Städte

 

Vietnam hat eine sehr junge und sehr homogene Bevölkerung: Rund jede*r Dritte der rund 96,5 Millionen Einwohner*innen ist jünger als 14 Jahre und nur 0,1 Prozent sind nicht in Vietnam geboren. Neben den ethnischen Vietnams*innen leben rund 53 Minderheiten in Vietnam, viele von ihnen in Armut, da sie im Alltag immer wieder benachteiligt werden. 

Die Amtssprache Vietnamesisch wird in einem eigenen, auf dem Lateinischen basierenden, Alphabet geschrieben. Weiterhin hat die französische Sprache eine hohe Bedeutung und wird in vielen Schulen als erste Fremdsprache unterrichtet. 

Die vietnamesische Bildung gilt weltweit als gut. An die fünfjährige Grundschule schließt sich eine Mittelschule an. Für den Besuch der Oberstufe müssen die Schüler*innen eine Prüfung bestehen. Auch der Zugang zu Universitäten setzt das Bestehen einer Aufnahmeprüfung voraus. Eine Schulpflicht existiert in Vietnam nicht; die Kosten für die schulische Ausbildung müssen selbst getragen werden. Viele Kinder, vor allem auf dem Land, verlassen daher die Schule vorzeitig, da sich die Familien die Kosten für den Schulbesuch nicht leisten können und die Kinder zudem zum Familienunterhalt beitragen müssen. Manche Kinder besuchen lediglich drei Jahre lang eine Schule.

 

Vor allem auf dem Land ist das Gesundheitssystem wenig ausgebaut. Generell kommen auf 10.000 Einwohner*innen lediglich 14, 8 Krankenhausbetten. Der Bedarf ist ungleich höher, denn die im Vietnamkrieg verwendeten Gifte sorgten über die Nahrungskette auch für Missbildungen, Tot- und Fehlgeburten bei Menschen, die nicht direkt mit den Giftstoffen in Berührung kamen; bis heute sind die Spätfolgen spürbar. In Vietnam werden Behandlungskosten staatlich kaum subventioniert, der größte Teil der Kosten muss von den Patient*innen selbst getragen werden.

In den vergangenen vierzig Jahren sind immer mehr Vietnames*innen vom Land in die Städte und vom Norden in den Süden gezogen. Ein Umzug ist für Vietnames*innen zu bewältigen, ohne dass sie zunächst ihre Häuser verkaufen müssen, denn privates Eigentum an Grund und Boden gibt es in Vietnam nicht: Der Staat erteilt lediglich Landnutzungsrechte, die auf etwa 50 Jahre beschränkt sind. 

 

Tabus bei der Kleidung, nicht beim Essen – Alltagsleben in Vietnam

 

Die vietnamesische Kultur mischt sich mit Einflüssen aus China und Mitteleuropa. So haben die meisten der vietnamesischen Feste ihren Ursprung in China, beispielsweise das Neujahrsfest. Das chinesische Neujahrsfest Tét ist das wichtigste Fest des ganzen Jahres und wird mehrere Tage lang mit Trommelmusik und Feuerwerk gefeiert. Die Tranh Dông Hò, Holzschnittdrucke, die zu Neujahr in den Wohnungen als Glücksbringer aufgehängt werden, sind ein Beispiel traditioneller bildender Kunst. Tét Trung Nguyên, der „Tag der wandernden Seelen“ ist ein weiteres wichtiges Fest. An diesem Tag, der meist in den August fällt, säubern die Vietnames*innen die Gräber ihrer Ahnen und bieten den Seelen der Toten Speisen und Kleidung dar. Der Herbst wird in Vietnam mit Tung Thu, dem „Mittherbstfest“ gefeiert, das zu Vollmond stattfindet. An diesem Tag werden Drachentänze aufgeführt und spezielle Kuchen gegessen. Seit einigen Jahren ist auch Weihnachten ein allgemeiner Feiertag in Vietnam. 

Die große Mehrheit der Vietnames*innen, rund 82 Prozent,  bekennt sich zu keiner Religion. Dennoch besuchen sie buddhistische Pagoden und ehren ihre Ahnen oder praktizieren konfuzianisch-schamanische Riten – Religiosität definiert sich im vietnamesischen Verständnis nämlich nicht durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgruppe. Verbreitet ist auch der Glaube an Geister. 

Traditionelle vietnamesische Musik ist oft mit Tanz und Gesang verbunden. Quan Ho, ein improvisiertes Lied, dessen Strophen abwechselnd von einem unverheirateten Mann und einer unverheirateten Frau vorgetragen werden und das in früheren Zeiten oft der Anbahnung einer Ehe diente, steht heute auf der UNESCO-Liste des immateriellen Erbes der Menschheit. Eine alte vietnamesische Kunstform ist das Wasserpuppentheater: Marionetten werden über eine Wasseroberfläche gehalten und stellen Szenen aus dem ländlichen Alltagsleben oder der Landesgeschichte dar, begleitet von Feuerwerk und Wellenbewegungen des Wassers. Die Kunst des Wasserpuppenspiels wurde nicht öffentlich gelehrt, sondern innerhalb der Familie weitergegeben. 

Vietnames*innen legen großen Wert auf saubere und ordentliche Kleidung. Frauen bedecken sich üblicherweise von den Schulten bis zu den Füßen. Auch am Strand sind knappe Bikinis die Ausnahme, nackt oder oben ohne zu baden gilt als unanständig. Das Nationalkleid heißt Ao dái und besteht aus einem knie- oder knöchellangen seitlich hochgeschlitzten Seidenkleid, unter dem weitgeschnittene, meist weiße Seidenhosen getragen werden. Es ist in vielen Gymnasien Schuluniform und kann auch von Männern getragen werden. Charakteristisch ist der flache kegelförmige Hut aus Palmblättern, der vor allem auf dem Land getragen wird. Beim Betreten eines Privathauses die Schuhe auszuziehen, gehört zur Etikette. Nicht nur während der Corona-Zeit ist es in Vietnam vor allem in den Städten alltäglich, zum Schutz vor Staub und Abgasen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. In Vietnam gilt helle Haut als vornehm, vor allem vietnamesische Frauen schützen sich daher konsequent vor Sonneneinstrahlung. 

Auch die vietnamesische Küche ist von der anderer asiatischer Staaten, vor allem von China und von der französischen Küche beeinflusst. Grundnahrungsmittel sind Reis und Reisnudeln, dazu wird vor allem Gemüse gereicht, das traditionell weniger scharf gewürzt wird, als in anderen asiatischen Ländern. Die Gerichte werden im Wok zubereitet und kurz gebraten. Ein typisch vietnamesisches Gericht sind Frühlingsrollen mit unterschiedlichen Füllungen. Wie beim europäischen Fondue oder Raclette werden beim Essen die Zutaten auf den Tisch gestellt und jeder Gast bereitet seine Frühlingsrollen selbst zu. Nudelsuppen werden in Vietnam bereits zum Frühstück genossen, beispielsweise Pho, eine Rinderbrühe mit Reisnudeln. In Vietnam gibt es keine Speisetabus, alle genießbaren Tier- und Pflanzenarten werden verzehrt, beispielsweise Schlangen, Insekten oder auch Hunde. Die bei den Einheimischen beliebte Spezialität Hôt vit lõn, angebrütete Enteneier, sind jedoch mittlerweile aus Artenschutzgründen verboten. Oft werden Mahlzeiten an Straßenständen verkauft und direkt aus der Pfanne serviert. Tee wird zu jeder Tageszeit und überall getrunken. In Restaurants wird er gratis ausgeschenkt, man erhält ihn auch in Geschäften und Behörden. Es ist auch in Privathaushalten üblich, eingeladenen Gästen eine Tasse grünen Tee zu reichen, nicht daraus zu trinken gilt als unhöflich.  Auch Kaffee ist in Vietnam beliebt, oft wird zur Tasse Kaffee auch ein Glas Tee gereicht.

1588 Frankfurter*innen haben einen vietnamesischen Pass. Vietnamesische Spezialitäten könnt ihr in Frankfurt an vielen Ecken probieren, im Nordend beispielsweise im Vipho im Oeder Weg, im Pho Ha Noi oder im COMAI, beide auf der unteren Berger Straße. Der „Verein der Vietnamesischen Flüchtlinge in Frankfurt und Umgebung“ lädt regelmäßig zu Kulturveranstaltungen ein, beispielsweise zur Feier des traditionellen Neujahrsfestes. 

 

Zum Weiterlesen:

Denise Chong: Das Mädchen hinter dem Foto – Die Geschichte der Kim Phuc. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2001. ISBN 978-3455093308. Das Foto der kleinen Kim, die vor einer Napalm-Bombe um ihr Leben rennt, geht 1972 um die Welt. Denise Chong spürt der weiteren Lebensgeschichte des verletzten Mädchens im Vietnam in und nach dem Krieg nach.

 

Zum Weiterschauen:

Vietnam. Die 9-teilige Doku-Reihe lässt Zeitzeug*innen des Vietnamkrieges zu Wort kommen und zeigt die Entwicklung Vietnams seit dem Krieg auf. Abrufbar auf ARTE.

Wirtschaftswunder Vietnam – Mit offenen Karten. Dokuntarfilm über die wirtschaftliche Entwicklung Vietnams. Abrufbar auf Youtube.

 

In Frankfurt:

Vipho, Oeder Weg 21, Frankfurt-Nordend

Pho Ha Noi, Berger Str. 85, Frankfurt-Nordend

COMAI, Berger Str. 77, Frankfurt-Nordend

 



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