07.04.2019
Machen Kleider Leute? Ein Rundgang durch die Ausstellung „Contemporary Muslim Fashion“
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„Kleider machen Leute“, heißt es. Und tatsächlich bestimmt die Art, wie wir uns kleiden, maßgeblich unser Lebensgefühl. Sie entscheidet mit darüber, wie uns andere Menschen wahrnehmen. Welcher gesellschaftlichen Gruppe wir uns zuordnen, ob wir uns eher anpassen oder lieber abgrenzen, wie alt wir sind, wie es um unsere Finanzen bestellt ist – all dies bringt die Wahl unserer Kleidung zum Ausdruck und formt uns auf diese Weise zu den Persönlichkeiten, als die wir uns präsentieren.
Umgekehrt machen Kleider nicht nur Leute, sondern Leute auch Kleider: Implizit ist Mode immer auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Idealbilds. In unseren Breiten gilt beispielsweise als attraktiv, wer jung, schlank und großgewachsen ist. Für diese Zielgruppe schneidern Designer*innen ihre Modelle, diesem Idealbild eifern insbesondere Frauen und Mädchen nach. Auch in vielen Berufen gibt es offizielle oder ungeschriebene Kleiderordnungen, denen entsprechen muss, wer in der Branche arbeiten oder gar Karriere machen möchte.
Dennoch haben wir in unserer westlichen Welt ein breites Spektrum an Kleidungsstilen, aus denen wir wählen, mit deren Hilfe wir unsere Identität formen können. Nicht so die Frauen in muslimisch geprägten Ländern.
Als „Modest Fashion“ wird die Mode bezeichnet, die derzeit in der Ausstellung „Contemporary Muslim Fashions“ im Museum für Angewandte Kunst zu sehen ist. Aus dem Englischen übersetzt heißt „modest“ so viel wie „bescheiden“, „anständig“, „anspruchslos“, „maßvoll“, „sittsam“. Was macht eine Mode, der ein solches Frauenbild zugrunde liegt (denn in der Ausstellung wird ausschließlich Damenmode gezeigt!) mit den Menschen, an die sie sich richtet? Dieser Frage nachzugehen, dabei mit den gängigen Vorurteilen gegen „Kopftuchmädchen“ aufzuräumen und Frauen aus dem muslimisch geprägten Kulturraum Sichtbarkeit zu verleihen, das ist der Anspruch, den die Ausstellung an sich erhebt und an dem sie - das vorweggenommen – kläglich scheitert. Zu eindimensional ist das Bild, das die Schau vermittelt, zu „modest“ die kritische Würdigung des durch die gezeigte Mode transportierten Frauenbildes.
„Ich denke, dass Modest Fashion eine großartige Waffe ist, um der Welt zu zeigen, dass muslimische und nicht-muslimische Frauen stark, unabhängig und modisch sind“, wird zu Beginn des Ausstellungsrundgangs die Modedesignerin Imen Bousnina zitiert. In der Tat werden Stärke und Unabhängigkeit fast klischeehaft inszeniert, durch buntbekleidete Rapperinnen und Skaterinnen zum Beispiel, die zu Hip-Hop-Klängen durch eine urbane Kulisse tanzen oder sich im sozialen Netzwerk Instagram in Szene setzen. Bunt und aufwändig gewandete Kleiderpuppen präsentieren Sport- und Abendmode, geschneidert teils auch von namhaften westlichen Designern.
In den wenigsten Fällen dürfte der weibliche Alltag allerdings – zumindest abseits von Teheran oder Riad – so farbenfroh sein, wie uns das diese Bilder glauben machen wollen. Realistischer ist der Eindruck, den die iranische Künstlerin Shirin Neshat in ihrer Videoinstallation vermittelt. Betritt man den kleinen Nebenraum, wird man unweigerlich von der schönen Stimme eines männlichen Sängers angezogen, der vor Publikum ein wunderschönes traditionelles Lied singt. Wer sich umwendet, dessen Blick fällt auf die gegenüberliegende Leinwand. Dort steht eine Frau im dunklen schmucklosen Tschador vor leeren Rängen. Im Iran dürfen Frauen nicht öffentlich auftreten und so schweigt die Verschleierte. Nur kurz fällt der Blick der Ausstellungsbesucher*innen auf diese Sequenz, dann drehen sie sich wieder um, um dem Sänger zu lauschen. Als dessen Lied endet, braust spontaner Applaus auf. Die Frau auf der anderen Leinwand schweigt dazu. Wie würde sie entscheiden, dürfte sie zwischen der ausgestellten „Modest Fashion“ und einem kurzen körperbetonten Kleid wählen? Wie würden die jungen Rapperinnen und Skaterinnen entscheiden, hätten sie die freie Wahl? Trifft tatsächlich zu, was uns die Ausstellung vermitteln möchte, dass nämlich – so auf einer Schautafel zu lesen - „manche Konsumentinnen ihre Entscheidung für dezente anstelle von körperbetonter Kleidung als Ermächtigung erleben, da individuelle Bedürfnisse über den schon so lange vorherrschenden gesellschaftlichen Druck gestellt werden, dass Kleidung weibliche Sexualität und Attraktivität transportieren muss“? Dass – so an anderer Stelle zu erfahren – „erhöhte Sichtbarkeit, die muslimische Frauen erleben, wenn sie ein Kopftuch tragen, bei einigen von ihnen dazu führt, dass sie sich in der Verantwortung sehen, als Botschafterinnen für ihre Religion oder die eigene Gemeinschaft zu agieren“?
Die in Teheran geborene Frankfurter Stadträtin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg beurteilt solche Aussagen kritisch: „Der eigentliche Grund, aus dem sich Frauen zurückhaltend kleiden, nämlich das dahinterstehende Frauenbild und die ausgeübte politische Gewalt, wird eben nicht in Frage gestellt. Die Ausstellung beschränkt sich auf den Aspekt der Mode und verkennt, dass gerade das Kopftuch immer auch eine politische Dimension hat. Denn in den wenigsten Fällen ist die ‚Entscheidung für dezente anstelle von körperbetonter Kleidung‘, eine Wahl, die jene Frauen frei treffen können“. Traditionen, Kultur und gesellschaftliche Erwartungen prägen bereits kleine Mädchen in ihrer Kleider-„Wahl“. Im Iran, in Saudi-Arabien, aber auch in Teilen Indonesiens besteht gar die gesetzliche Verpflichtung, als Frau in der Öffentlichkeit (mindestens) ein Kopftuch zu tragen und sich auf weitgeschnittene Kleidung in dezenten Farben zu beschränken. Wer sich an diese Regeln nicht hält, muss mit drakonischen Strafen rechnen, egal ob frau Muslimin ist oder nicht, ob sie dauerhaft im Land lebt oder nur zu Besuch dort weilt. Viele Frauen im Iran kämpfen gegen die von den Mullahs verhängten Kleidungsvorschriften. Nach den jüngsten Protesten Anfang 2018 will die iranische Regierung die Kleiderregeln verschärfen und bestimmte Schnitte und Farben zwingend vorschreiben. Für die protestierenden Frauen ist das Konzept der Ausstellung daher ein Schlag ins Gesicht: „Mit der Darstellung von verschleierten Frauen übernehmen Sie das rückwärtsgewandte Frauenbild islamischer Staaten und der islamistischen Bewegung. Darin wird die Frau prioritär als Sexualobjekt begriffen, deren Reize zu verbergen sind. Um sich vor den lüsternen Blicken der Männer zu schützen, wird von den Frauen erwartet, sich zu verschleiern. Ein solches Geschlechterverständnis darf in einer öffentlichen Institution wie in Ihrem Haus in einem säkularen Staat wie Deutschland nicht gefördert werden“, heißt es in dem offenen Brief einer iranischen Frauengruppe an Museumsleiter Matthias Wagner K, der auch in der Zeitschrift EMMA veröffentlicht wurde. Die Frauengruppe „Iranische Frauen in Frankfurt“ demonstrierte am Tag der Ausstellungseröffnung vor dem Museumsgebäude und verwies auf das Schicksal der Iranerin Nasrin Sotoudeh. Die Menschenrechtsanwältin, die unter anderem Frauen verteidigt hatte, die gegen die Zwangsverschleierung protestiert hatten, wurde kürzlich zu 38 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Von derartigen Schicksalen erfährt man im Museum leider nichts.
Die offene Kritik an der Ausstellung kann Kuratorin Mahret Iofema Kupka nicht verstehen: „Es ist erstaunlich zu erleben, wie vehement die Einladung ausgeschlagen wird, mehr über zeitgenössische, alltäglich gelebte muslimische Kultur, die längst Teil der deutschen Alltagskultur ist, zu lernen“, sagte sie dem Jugendportal ze.tt und sieht die Ursache für die ablehnende Haltung weniger im Desinteresse als im antiislamischen Rassismus begründet. Den gab es tatsächlich – seitens rechter Gruppen, weshalb sich die Besucher*innen am Einlass ähnlich aufwändigen Sicherheitskontrollen unterziehen müssen wie am Flughafen. Die Position der Frauenrechtlerinnen verkennt Kupka hingegen völlig. Nicht gegen den Islam richten sich ja deren kritischen Äußerungen, sondern gegen das im Namen des Islam transportierte und durch die „Modest Fashion“ symbolisierte Frauenbild. Und dieses vermag die Ausstellung trotz aller Ansätze nicht zu hinterfragen.
Wer die Einladung des MAK annimmt, der erfährt, wie Leute Kleider machen – Kleider, die die engen Grenzen, die Tradition, Glaube und gesellschaftliche Macht ihnen vorgeben, respektieren. Der erlebt, wie Frauen innerhalb dieser Grenzen durchaus stark, unabhängig und modisch wirken können. Aber der Appell, diese Grenzen zu überschreiten, damit eben nicht nur Leute Kleider, sondern umgekehrt Kleider auch tatsächlich Leute machen können – dieser Appell bleibt aus.
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